Haselkaetzchen
Hasel gehören zu den am frühesten blühenden Gehölzen. Bereits ab Januar fliegen ihre stark allergenen Pollen. (Bild: Pixabay)

Baumpollen – lästige Störenfriede oder faszinierende Flieger

Hasel und Erle blühen, Ende März kommen Esche und Birke dazu: Die Baumpollensaison ist in vollem Gang. Fast jede zehnte Person ist sensibilisiert auf Birkenpollen und reagiert damit allergisch auf deren Pollenkörner, die zur Blütezeit in der Luft herumfliegen. Ein genauer Blick zeigt aber, dass die Bösewichte eine wichtige Funktion haben und echte Wunder der Natur sind.

 

von Matthias Nussbaumer, Forsting FH, Matthias Brunner AG

Pollenkörner sind die männlichen Keimzellen von Pflanzen und dienen der geschlechtlichen Vermehrung. Ihre chemische Struktur ist hoch komplex. Produziert wird der Pollen in den Staubbeuteln von Blüten. Damit es zur Befruchtung kommt und eine neue Pflanze entstehen kann, muss er zur weiblichen Eizelle gelangen. Diese liegt, fest in der Blüte verankert, im sogenannten Embryosack des Fruchtknotens.

 

Eine geniale Architektur

Mit einer Grösse von 20 bis 40 Mikrometern – das entspricht etwa einem Viertel des Durchmessers eines menschlichen Haares – sind Baumpollen von blossem Auge unsichtbar. Erst der Blick durch das Rasterelektronenmikroskop offenbart die faszinierenden Formen der Winzlinge. Auf ihrer Oberfläche sind sogenannte Skulpturen erkennbar, das können Stacheln, Stäbchen, Rillen oder andere Formen sein. Die Skulpturen sind für jede Art typisch und ermöglichen es, Pollen zu bestimmen. Diese äussere Schicht des Pollenkornes ist sehr widerstandsfähig und schützt das männliche Erbgut in seinem Innern. Zahlreiche rundliche, feuchte Zapfen vergrössern zudem die Oberfläche der Pollen und sorgen dafür, dass sie auf der Narbe kleben bleiben.

 

Vom Winde verweht

Für ihren Weg zur Narbe nutzen verschiedene Baumpollen unterschiedliche Transportmittel. Pollen von Nadelbäumen zum Beispiel werden evolutionär bedingt vom Wind verfrachtet: Vor Millionen von Jahren, als Nadelbäume entstanden sind, gab es noch keine Insekten, die Pollen übertragen konnten. Da zur kalten Jahreszeit noch keine oder nur wenige Insekten unterwegs sind, werden auch früh blühende Laubbaumarten durch den Wind bestäubt.
Die Pollen vieler anderer Arten werden von Tieren transportiert. Meist sind es Insekten wie Käfer, Bienen oder Schmetterlinge. Doch auch Vögel oder Fledermäuse können Pollen verbreiten. Oft ist einer Pflanze anzusehen, ob sie vom Wind oder von Insekten bestäubt wird: Insektenbestäubte Pflanzen ziehen ihre Bestäuber mit grossen, farbigen Blüten an, während windbestäubte Blüten eher klein und unscheinbar sind.

 

Haselsträucher sind Multimillionäre

Haselpollen
Haselpollen (Corylus avellana), Durchmesser 6 Mikrometer. (Bild: Bruno Erb)

Ein illustres Beispiel einer windbestäubten Pflanze ist der Haselstrauch. Seine Blütenstände werden schon im Vorjahr angelegt und entfalten sich mit den ersten Sonnenstrahlen früh im Jahr. Die männlichen Blütenstände sind als Kätzchen bekannt und etwa 4 cm lang (vgl. Abbildung 3). An einem einzelnen Kätzchen können bis zu 170 Schuppenblüten mit je vier Pollensäcken wachsen. Jede dieser Blüten produziert rund 12 000 Pollenkörner (vgl. Abbildung 4). Bei durchschnittlich über 300 Kätzchen pro Strauch macht das 600 Millionen Pollenkörner, die der Wind von einem einzigen Haselstrauch mitträgt. Für eine Windbestäubung sind so viele Pollen wichtig, da diese zufällige Art der Bestäubung zu grossen Verlusten führt. Im Gegensatz dazu fliegen Insekten Bäume gezielt an, womit die Verluste kleiner und so weniger Pollen nötig sind.

 

Birkenkaetzchen
Birken blühen von März bis Mai. Ihre Pollen rufen bei etwa jeder zehnten Person allergische Reaktionen aus. (Bild: Pixabay)

Häufig sind es Birkenpollen

Ein Teil dieser Pollenkörner, die der Wind von Bäumen mitträgt, atmen wir ein oder sie landen in unseren Augen. Das Immunsystem muss nun entscheiden, ob die Partikel harmlose Umweltprodukte oder gefährliche Schadstoffe sind. Gerade weil Pollenkörner chemisch so komplex sind, werden sie oft fälschlicherweise als Bedrohung eingestuft. Die Körper von Allergikern versuchen, die Pollen zu bekämpfen. Besonders häufig geschieht dies bei Birkenpollen: Etwa 10 % der Schweizer Bevölkerung sind auf Pollen von Birken sensibilisiert. Diese gehören zu den wichtigsten und aggressivsten Baumpollenallergenen. Während der anfänglichen Sensibilisierungsphase sind die Abwehrreaktionen noch recht zögerlich. Bei einer wiederkehrenden Pollenbelastung werden sie jedoch heftiger.
Die Reaktion des Immunsystems zeigt sich vor allem an den Schleimhäuten von Nase, Augen, Mund- und Rachenraum. Betroffene Personen leiden unter Niesattacken, ihre Augen sind gerötet und jucken und die Schleimhäute schwellen an. Auch die Nase juckt, ist verstopft oder läuft und es kommt zu Husten, Heiserkeit und Halsschmerzen. Besonders schlimm für Allergiker sind die jedes zweite Jahr auftretenden Mastjahre, in denen Birken besonders viel Pollen produzieren. Dabei sind sie schon in normalen Jahren Spitzenreiter und produzieren während einer langen Blütezeit von März bis Mai so viel Pollen wie keine andere Pflanze.

 

Kreuzreaktionen

Birkenpollen
Birkenpollen (Betula pendula), Durchmesser 25–30 Mikrometer. (Bild: Bruno Erb)

Leider kann es vorkommen, dass der Körper von Allergikern nicht nur harmlose Pollenkörner zu feindlichen Zielen erklärt, sondern auch andere Substanzen mit einer chemisch ähnlichen Oberflächenstruktur. Der Mediziner spricht von Kreuzallergien. Rund 70 % der Birkenpollenallergiker reagieren auch allergisch auf Pollen von Erle und Hagebuche sowie auf Nahrungsmittel wie Äpfel, Haselnüsse, Kirschen, Karotten, Sellerie, Avocado oder Soja.
Im Extremfall kann eine Kreuzreaktion lebensbedrohlich sein. Gefährdete Patienten müssen immer Medikamente auf sich tragen, um rechtzeitig eingreifen zu können.

 

Flucht in die Höhe

Meist sind die Symptome allerdings ungefährlich und nur lästig. Dann reicht es, wenn die Betroffenen eine Brille tragen, im Auto Pollenfilter einbauen und die Zimmerfenster zu Pollenflugzeiten schliessen. Oder sie flüchten in die Höhe: Im kühleren Alpenklima gedeihen zum Beispiel Hasel und Esche nicht. Wegen der tiefen Temperatur produzieren die Pflanzen in den Alpen meist auch weniger Pollen, so dass dort die Pollensaison viel kürzer und schwächer ausfällt.
Wer nicht nur die Symptome lindern oder den Pollen ausweichen will, kann auch eine spezifische Immuntherapie in Betracht ziehen. Dabei wird der Körper schrittweise und über eine längere Zeit an die Allergene gewöhnt. Für eine solche Desensibilisierung werden die Substanzen über einige Jahre regelmässig gespritzt oder oral eingenommen. Sehr starken Allergikern wird dies empfohlen, damit Pollen auch für sie wieder zu Freunden werden.

 

Wohnhaft in einem oder in zwei Häusern?

Viele Samenpflanzen bilden männliche und weibliche Keimzellen in der selben Blüte. Sie sind damit zweigeschlechtlich oder zwittrig. Zwittrige Bäume sind zum Beispiel Rosskastanien (Aesculus hippocastanum) oder Kirschbäume (Prunus sp.). Haselnuss (Corylus avellana), Buche (Fagus sylvatica) oder Erle (Alnus sp.) hingegen bilden an derselben Pflanze rein männliche und rein weibliche Blüten. Dies wird Einhäusigkeit genannt. Auch zweihäusige Pflanzen gibt es: Diese bilden weibliche und männliche Blüten auf verschiedenen Individuen. Rein männlich oder weiblich sind zum Beispiel Pappeln (Populus sp.) oder Salweiden (Salix caprea).